Zwischen Co-Working-Space und Homeoffice – Stefan Riedl wandelt seit Jahren zwischen diesen beiden Arbeitswelten. Lichter findet er da wie dort – genauso wie Schatten. Und dann stellt sich noch diese Frage: Braucht es das Vor-Ort-Büro überhaupt noch? Ein Erfahrungsbericht ...
E-Mails beantworten, Arbeitsblätter kommentieren, Präsentationen aufbereiten und Meetings mit Kollegen abhalten – all das sind keine Gründe, wozu man eigentlich ins Büro muss. Oder vielleicht doch? Spätestens seitdem die Welt und alle darin verwurzelten und gewohnten Vorgänge aufgrund der Corona-Pandemie 2020/21 ordentlich durchgeschüttelt wurde, war klar, dass an der Digitalisierung, dem einhergehenden Fortschritt und einer neuen Art von Arbeitsmodell kein Weg mehr vorbeiführt. Ich persönlich praktiziere seit 2013 dieses Modell und möchte dich an meinen Erfahrungen teilhaben lassen.
Hybrides Arbeiten und Co-Working
Hybrides Arbeiten bedeutet, man verbringt einen Teil seiner regulären Arbeitszeit im Büro, der Agentur oder Firma und einen anderen Teil daheim oder – wem dort die Decke auf den Kopf fällt oder spitz-unförmige Lego-Bausteine unter den Füßen peinigen – in sogenannten Co-Working-Spaces. Das sind groß angelegte Büroeinheiten, die sich auf Menschen spezialisiert haben, die temporär einen Platz zum Arbeiten benötigen.
Vorwiegend findet man derartige Angebote in jeder größeren Stadt, und „temporär“ bezieht sich in diesem Sinne nicht auf Kurzarbeit, sondern ganz konkret auf den Zeitraum, wann gearbeitet wird. So erhält man mit einem „Daypass“ Zugang für einen Tag von 9 bis 17 Uhr, kann dort WLAN, Drucker und Kaffeemaschine nutzen und ungestört sein Tageswerk vollbringen. Oder man bucht sich einige Wochen für ein auftragsbezogenes Projekt in den Co-Working-Space ein, bis hin zur letzten Alternative: Man bleibt quasi immer dort.
In jedem Fall ist eines klar: Für diese Art von Arbeitsmodell braucht es nicht nur Freude am autonomen Arbeiten. Nein, auch neue Spielregeln im sozialen Miteinander müssen definiert werden, damit das Beste aus der Zeit außerhalb des Büros erwachsen kann – birgt sie doch Herausforderungen und Chancen gleichermaßen.
Vorteile von Co-Working-Spaces
Ist man zum ersten Mal im „Co-Working“, beginnt ein aufregender Tag, ähnlich dem in einer neuen Firma: eine Vielzahl von „Kollegen“ lernt man dort kennen, jeder geht unterschiedlichen Tätigkeiten nach, und somit bietet der Space auch ein diversifiziertes Ökosystem zahlreicher Branchen und Fachbereiche. Alleine in die Mittagspause? Nur wenn man selbst darauf besteht. Moderne Arbeitsplätze im industriellen Loft-Style? Immer her damit! In sogenannten Think Tanks lässt sich in aller Ruhe gemeinsam „brainstormen“, und neue Ideen reifen, während am Drucker ein bequemer Tratsch initiiert werden kann. In Summe ist in den Arbeitsbereichen überhaupt alles sehr auf Stille und Ruhe getrimmt. Telefoniert wird nämlich laut Hausordnung in den dafür vorgesehenen Telefonzellen. Ein gut durchdachtes Konzept beschert somit eine angenehme Atmosphäre.
In einem Co-Working-Space werden viele positive Aspekte vereint: Durch die flexiblen Besuchszeiten lassen sich Familie und Berufliches bequem managen. Selbst wenn es daheim auch mal zugeht wie im Zirkus, kann eine Flucht ins Co-Working wahre Wunder wirken. Auch die Zeit ist begrenzt, und man arbeitet durchaus sehr effizient seine To-do-Liste ab. Abends noch kurz was am gemeinschaftlichen Drucker ausdrucken? Kein Problem. Das mitgebrachte Mittagessen im Kühlschrank aufbewahren? Funktioniert wie in jeder anderen Mitarbeiterküche (wenn auch nur kurzweilig gut).
Talente können dort rekrutiert werden, wo sie eben beheimatet sind, und überhaupt ist der Wohnort für Mitarbeiter dadurch frei wählbar, wie mein ganz persönliches Beispiel zeigt: Während unsere Agentur in Waren (Müritz) sesshaft ist, verortet man mich persönlich im Süden der Bundesrepublik, genauer gesagt in Bayerns drittgrößter Stadt: Augsburg. Mich und meine Chefs trennen somit unglaubliche 750 Kilometer. Schlechte Aussichten für empfindliche Patriarchen mit einem Hang zur Mitarbeiterüberwachung.
Für Menschen mit gesundem Vertrauen und einer leistungsbezogenen Sicht auf die Dinge (wie meinen Chefs) ist hybride Arbeit hingegen eine logische Option und effiziente Vorgehensweise. Auch, weil natürlich Unternehmer von derartigen Arbeitsmodellen profitieren, da weniger Bürofläche angemietet werden muss und einhergehende Nebenkosten direkt gespart werden.
Kein Zweifel: Eine solche Flexibilität steigert generell die Zufriedenheit der Beteiligten und die persönliche Life-Work-Sleep-Balance. Und spätestens aus der Naturwissenschaft ist bekannt, dass sich alles nach seiner Art reproduziert: Zufriedene Chefs sorgen für zufriedene Mitarbeiter, die wiederum sorgen für zufriedene Kunden usw. Win-win-win also.
Nachteile von Co-Working-Spaces
Wie heißt es so schön? Wo viel Licht ist, herrscht auch viel Schatten. Wie immer hängt dies ganz von der eigenen Perspektive ab, doch in einigen Fällen macht auch einfach die Dosis das Gift. So gibt es eine Handvoll Nachteile, die sicher auch durchdacht gehören, damit es nicht zu einem dauerhaften Frontalangriff auf die gute Laune kommt. Es kommt zwar vermutlich weniger oft vor, doch nicht immer ist der Co-Working Space der sprichwörtlich berufliche Garten Eden der Stille. Rücksichtslose Kollegen, eine lautstarke Umgebung, unsaubere Küchen oder schlecht ausgestattete Büroeinheiten … Die Liste möglicher Verfehlungen kann lang sein. Die Liste der Widrigkeiten noch länger.
Hinzu kommen die kollaborativen Aspekte: Wer dauerhaft nicht physisch im Büro anwesend ist, wird auch mal von der Stammmannschaft vor Ort vergessen. Nicht aus böswilliger Absicht, einfach nur, weil der Aufwand einer E-Mail oder zum Telefon zu greifen schlicht höher ist, als den Mitarbeitern kurzerhand durch die offene Bürotür die jüngsten Neuigkeiten zuzurufen. Hieraus rührt dann auch für den Homeofficeler bzw. Co-Worker die Angst, etwas zu verpassen – gleichgültig ob nun eine hochbrisante Neuigkeit oder eine nebensächliche Lappalie.
Im Umkehrschluss fehlen den Kollegen vor Ort oftmals detaillierte Informationen darüber, woran der Mitarbeiter ab vom Schuss eigentlich aktuell arbeitet. Man ist ja nie da, und vor der Kühlschranktür oder am Aktenvernichter trifft man sich auch nie. Da passiert es gerne auch, dass man schlichtweg übergangen wird. Die Führung eines zentral organisierten Teams aus einer dezentralen Position heraus wird zum Balanceakt. Von Team-Building, Integration in die Struktur oder Onboarding neuer Mitarbeiter brauchen wir bei der Telearbeit gar nicht erst sprechen …
Viele Nachteile treffen dabei auch auf das Homeoffice zu. In den eigenen vier Wänden ist man nämlich ohne entsprechende Technik schlichtweg aufgeschmissen, ohne Glasfaser nicht anschlussfähig, und ohne eine gute HD-Kamera empfindest man sich selbst in jedem Meeting mindestens als „unscharf“. So sprechen erhobene Daten davon, dass wegen der zahlreichen Video-Calls während Corona auch ein spürbarer Anstieg an Beauty-OPs verzeichnet wurde, wie das ZDF berichtete.
Das Beste aus zwei Welten
Corona hat uns so einiges gelehrt, doch drei Dinge im Besonderen, die ich in diesem Zusammenhang erwähnenswert finde:
- Die Technik, Hardware und Software gehört einfach auf den aktuellen Stand. Man tut damit nicht nur sich als Firma, sondern auch den Mitarbeitern einen echten Gefallen.
- Die Wahrheit ist: Um das zu tun, was wir eben tun müssen, müssen viele von uns nicht jeden Tag ins Büro, in eine Agentur oder in eine Firma.
- Nur Homeoffice allein macht hingegen latent einsam, isoliert Menschen voneinander (und belastet zuweilen den Geldbeutel durch Beauty-OPs).
Als Unternehmer gehört also mehr dazu, als einfach die Belegschaft in die eigenen vier Wände zu bugsieren und zu hoffen, dass der Laden weiterläuft wie zuvor. Und es gehört für den Mitarbeiter ein respektables Maß an Eigeninitiative und Selbstorganisation dazu, um die Checklisten am Ende des Tages auch zur Zufriedenheit aller Beteiligten abhaken zu können. Geboren war also das hybride Modell der goldenen Mitte: Zum Teil verbringt man die Zeit im Büro und zum anderen Teil eben daheim bzw. im Co-Working-Space.
Ein Full-Time-Arbeitsmodell der vergangenen Jahrzehnte, bei dem man einfach die Zeit totschlug, ist für die Zukunft gewiss nicht tragfähig. Doch den Menschen nur daheim sich selbst und seinem Schicksal zu überlassen, birgt ebenso Gefahren. Nicht nur für den Betroffenen, auch für die Power der Firma: Sind doch in jedem Fall die direkten Face-to-Face-Begegnungen essenzieller Bestandteil unseres menschlichen Wohlbefindens. Sie bilden eine wichtige soziale Grundlage für Kommunikation und Interaktion. Offline bieten sich bereits ab 7:30 Uhr massenhaft Möglichkeiten, nonverbal mit winkenden Armen gute Laune zu verbreiten, oder beim späteren Treffen in der Cafeteria, das Stehenbleiben im Flur oder der zweiminütige Plausch mit dem Kollegen aus der Buchhaltung.
Erst aus derartigen Interaktionen bilden sich auch fernab der Arbeit Gelegenheiten für Freundschaften: Man redet über das Wochenende, das Hobby, den Familiennachwuchs oder Sport. Und wenn keiner Sport macht, dann lässt sich zumindest reichlich über Sportereignisse diskutieren. Jede einzelne dieser Interaktionen stärkt die Verbindung zu diesen Menschen. Und eben jene Verbindungen sind es, die die essenzielle Voraussetzung für wirklich starke Teams bilden, mit der Bereitschaft mal einzuspringen, die Extrameile zu laufen oder ein Event freiwillig zu organisieren. Eben Teams, die sich durch eine tolerante Zusammenarbeit und einen starken Zusammenhalt als Gemeinschaft auszeichnen und erst dadurch zu enormer Höchstleistung imstande sind.