Neben einem eigenen, unverwechselbaren Stil kann man sich aber auch abheben, indem man dafür sorgt, dass die eigenen Fotos zumindest handwerklich schon mal nahezu perfekt sind. Und auch besondere Bildideen sind immer wieder ein Garant dafür, dass Fotos aus der Masse heraus- und damit auffallen.
Kreativität kann ich euch nicht lehren. Aber ich kann euch unzählige Tipps verraten, die ich mir im Laufe von 20 Jahren Modelfotografie größtenteils selbst angeeignet habe. Das wird euch helfen, schneller anspruchsvolle Fotos zu erstellen. So dass ihr dann den Kopf frei habt, um eure eigenen Ideen wirklich kreativ umzusetzen.
Viel Glück hierbei!
Jens Brüggemann, im August 2013
Abbildung 01: Viel Spaß beim Lesen wünscht euch Jens Brüggemann, www.jensbrueggemann.de.
(Foto © 2013: Lilly)
Hier eine Übersicht über die einzelnen Kapitel:
Teil 1 - "Models" fotografieren
Teil 2 - Die sinnvolle (!) Ausrüstung
Teil 3 - Geeignete Models finden
Teil 4 - Locationsuche
Teil 5 - Bildideen entwickeln
Teil 6 - Bildgestaltungs-Tipps
Teil 7 - Styling-Tipps
Teil 8 - Models gekonnt beleuchten
Teil 9 - Die effiziente Zusammenarbeit im Team
Teil 10 - Posing-Tipps
1 "Models" fotografieren
Modelfotografie ist „in“. Die Zeitungen sind voll mit Modelfotos; und auch im TV kann man neuerdings zusehen, wie Modelfotografen (angeblich) arbeiten. Und auch wenn eigentlich jedem bewusst ist, dass das im TV gezeigte Geschehen fürs Fernsehformat produzierte, gestellte „making ofs“ sind, meint seit der ersten Staffel von Germanys Next Topmodel doch jedermann, übers Modelbusiness mitreden zu können …
Aber wie schaut die Realität wirklich aus? Was macht einen guten Modelfotografen aus?
Betrachten wir jedoch zunächst die andere Seite. Was macht ein gutes Model aus? Was ist wirklich wichtig, um erfolgreich als Model arbeiten zu können?
Heutzutage kann jede(r) Model werden. Voraussetzung ist ein mehr oder weniger gutes Aussehen. Wobei das zu beurteilen schon nicht ganz einfach ist. Im Zweifelsfall ist es Geschmackssache. „Glücklicherweise“ muss man allerdings sagen, denn langweilig wäre die schöne (Model-) Welt, wenn alle Fotografen genau einem einzigen Schönheitsideal hinterhereifern würden. Die unterschiedlichen Geschmäcker sorgen dafür, dass es „bunt“ zugeht in der Welt, dass es nicht langweilig wird. (Stellt euch einmal vor, wie es wäre, wenn alle Modelfotos den gleichen Typ Frau zeigen würden: Wie langweilig wäre es, sich entsprechende Fotos anzuschauen!) Die Vielfalt hingegen macht die Fotografie erst interessant, und das gilt auch bei der Modelauswahl!
Neben dem Aussehen ist die „Fotogenität“ eigentlich entscheidend, ob die Person als Model geeignet ist oder nicht. Nicht alle gutaussehenden Menschen sind auch fotogen. Und nicht alle fotogenen Menschen sind „Hingucker“, wenn sie auf der Straße unterwegs sind. Viele tolle Models sind im Alltag eher unscheinbar! Stehen sie jedoch geschminkt im Licht der Blitzlampen, so zeigen sie, was in ihnen steckt. Nicht selten war ich regelrecht überrascht, wie sich das unscheinbare Mädchen von nebenan in einen Männer-mordenden Vamp verwandelt hat …
„Model“ oder „Fotomodel“ nennen sich heutzutage viele. Es gibt weder eine Prüfung zum Model noch eine Ausbildung. Der Begriff ist nicht geschützt, weshalb jede(r) sich Model nennen kann, die oder der schon einmal vor der Kamera eines „Fotografen“ (ebenfalls kein geschützter Begriff; ein Fotograf ist jemand, der einen Fotoapparat bedient) gestanden hat oder es zumindest vorhat. (Nicht immer führt dann die subjektive Selbsteinschätzung mancher selbst ernannter „Models“ zu einer tatsächlich Erfolg versprechenden Karriere …)
Andersherum gibt es viele unzählige „Talente“, die entweder Schüler(innen) oder Student(inn)en sind oder irgendeiner anderen beruflichen Tätigkeit nachgehen und trotzdem vor der Kamera so perfekt agieren, dass sie die Bezeichnung „Fotomodel“ mehr als verdient haben.
Abbildung 1-1: Elida ist ein sehr gutes Fotomodel. „Entdeckt“ habe ich sie auf der Straße, beim Einkaufen. Innerhalb nur weniger Shootings hat sie sich zu einem wirklich tollen Model entwickelt. Talent gehört also – neben einer professionellen Einstellung und Arbeitsweise – auch dazu! Und wenn die Ergebnisse so traumhaft wie hier ausfallen, kann das Model ja auch stolz auf seine Fotos sein! Der Leinwandeffekt wurde von mir in Photoshop dem Foto hinzugefügt. Er passt gut zu den gedeckten Farben. Das Foto entstand vor ein paar Monaten während meines Ibiza-Fotoworkshops im Mai 2013.
Da ich meine Kamera nicht dabeihatte, habe ich mir kurzerhand die Kamera des Models ausgeliehen, um dieses Foto machen zu können. Kurz zuvor hatte es (selten genug auf Ibiza!) geregnet und der Himmel war noch wolkenverhangen, was eine sehr schöne Lichtstimmung zur Folge hatte. Außerdem erschienen die Farben blasser als üblicherweise bei Sonnenlicht, was besser zu meiner Bildidee passte. Nikon D3000 mit 2,8/105mm Makro Nikkor. 1/500 Sekunde, Blende 2,8, ISO 100.
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Eines ist aber unabdingbare Voraussetzung für die Eignung als Model: Professionalität, wozu vor allem Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gehören! Das schönste Model hilft mir als Fotografen nichts, wenn es nicht zum Shooting erscheint, zum Beispiel, weil es am Vortag zu lange gefeiert hat. Oder wenn das gebuchte Workshop-Model 2 Stunden zu spät kommt und der Workshop schon fast vorbei ist.
Wenn der Fotograf sich nicht aufs Model verlassen kann, dann gibt es nur eine Konsequenz: das Beenden der Zusammenarbeit, denn welcher Fotograf möchte vor wichtigen Fotoshootings, bei Auftragsarbeiten, schon das Risiko eingehen, dass das Model mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 50% zum Shooting erscheint? In der professionellen Fotografie geht es um den Verdienst des Lebensunterhalts, die Sicherung der Existenz. Da ist kein Platz für unzuverlässige Models.
Auf der anderen Seite gibt es aber genauso unzuverlässige Fotografen. Wer seinem Model die Zusendung von 10 bearbeiteten Fotos verspricht, sollte dies auch einhalten!
Abbildung 1-2: Ein intensives Porträt, für das ich zuvor mehr als 250 Aufnahmen machen musste, bis ich dann endlich der Meinung war, dass das Abbild dieser jungen Frau ihrer Persönlichkeit auch wirklich gerecht wird. Wer mehr als nur den bloßen äußeren Schein fotografieren möchte, kann nicht in 10 oder 15 Minuten mit den Fotoaufnahmen fertig sein. Dafür braucht es eine intensive Beschäftigung mit der fotografierten Person. Natürlich gibt es immer mal wieder Glückstreffer, doch in der Regel sind gute Fotos das Ergebnis harter Arbeit. Deshalb bedeuten (richtig durchgeführte) (Porträt-) Fotoshootings eine intensive Zusammenarbeit, bei der Fotograf und Model in voller Konzentration am Ergebnis zu in etwa gleichen Teilen beitragen.
Schon allein deshalb sollte es selbstverständlich sein, dass das Model ein paar der besten Ergebnisse zugeschickt bekommt. Nikon D3X mit 2,8/105mm Makro Nikkor. 1/160 Sekunde, Blende 3,2, ISO 100.
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Was macht nun einen guten Modelfotografen aus? Die Fotoergebnisse müssen (dem Auftraggeber, den Models, der Öffentlichkeit, …) gefallen!
Wie man bessere Ergebnisse erzielt, worauf es in der Modelfotografie ankommt und was es alles zu beachten gilt, das erfahrt ihr in den folgenden Teilen dieses Tutorials!
Beachtet aber, dass es nicht nur auf das Resultat ankommt; Kreativität, eine professionelle Vorgehensweise, Zuverlässigkeit, kaufmännisches Denken, Flexibilität und Seriosität gehören ebenfalls zum Rüstzeug eines jeden Fotografen, der haupt- oder nebenberuflich mit seinen Fotos Geld verdienen möchte.
Abbildung 1-3: Und auch Übung gehört zum Fotografendasein dazu! Eine gute Möglichkeit, um schnell und nachhaltig Lernfortschritte zu erzielen, ist der Besuch von Fotoworkshops. Dieses Foto entstand auf meinem Ibiza-Workshop im Mai 2013. Um Kontraste zu mildern, muss manchmal, soll der Himmel nicht ausgefressen weiß auf den Fotos erscheinen, bei den Aufnahmen Beleuchtungstechnik eingesetzt werden. Die mobile Akkublitzanlage Ranger Quadra RX Hybrid von Elinchrom sowie Aufheller und Abschatter von California Sunbounce habe ich daher bei meinen Auslands-Workshops zur Benutzung für die Teilnehmer immer dabei.
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinweis: Da „Modelfotografie“, wie wir gesehen haben, ein recht weit gefasster Begriff ist, sollen in diesem ersten Kapitel im Folgenden die einzelnen Bereiche kurz vorgestellt und voneinander abgegrenzt werden. Dabei werden die wichtigsten (fotografischen) Besonderheiten jeweils kurz erläutert ebenso wie die Anforderungen, die an die Fotografen des jeweiligen Themengebietes gestellt werden.
1.1 People-Fotografie
People-Fotografen müssen kommunikativ sein. Das Interesse an anderen Menschen muss vorhanden sein, ebenso wie die Bereitschaft zu einer flexiblen, dem Motiv (und bei Auftragsarbeiten dem Briefing) angepassten Arbeitsweise. Und nur wer neugierig und weltoffen ist, wird Spaß an der People-Fotografie finden.
Anders als in der Street-Fotografie gehört die intensive Beschäftigung mit der fotografierten Person zum Wesensmerkmal der People-Fotografie. Weniger das (heimliche) Beobachten, sondern das „Kommunizieren“ mit dem Gegenüber macht einen erfolgreichen People-Fotografen aus.
Ebenfalls von Bedeutung ist das Herausstellen einer Bildaussage, zumindest, wenn die People-Fotografie als Inszenierung einer Werbebotschaft dient. Damit setzt sie sich von der Reportage-Fotografie ab.
Abbildung 1-4: In der People-Fotografie ist es besonders wichtig, dass die „Chemie“ zwischen Model und dem Fotografen stimmt. Nur dann können ungezwungen wirkende Fotos entstehen. Obwohl ich Männer-Models eher selten fotografiere, habe ich mich mit diesem Model auf Anhieb verstanden. Während zweier Fotosessions sind viele schöne unterschiedliche Motive (von denen noch einige weitere hier im Rahmen dieser Tutorialserie zu sehen sein werden), entstanden.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Nicht wenige People-Fotografen betonen, wie wichtig es ist, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Fotograf(in) und der Person vor der Kamera aufgebaut wird, damit authentische und ungezwungene Fotos entstehen können. In ihrem Buch „At Work“ beschreibt Annie Leibovitz, dass sie teilweise Tage oder sogar Wochen, bevor sie überhaupt zur Kamera greift, die zu fotografierenden Prominenten besucht und bei ihrem Arbeitsalltag begleitet.
So erreicht sie, dass sie nicht mehr als „Fremdkörper“ wahrgenommen wird, sondern stattdessen als vertraut oder sogar zur Crew zugehörig. Natürlich ist solch eine Vorgehensweise nicht immer möglich und auch nicht notwendig. Doch eines lässt sich daraus auch für unsere (People-) Modelfotografie ableiten: Die Chance auf außergewöhnliche und authentische Fotos steigt mit der zur Verfügung stehenden (Vorbereitungs-) Zeit.
Das Shooting selbst muss nicht unbedingt Stunden dauern, wenn Fotograf und Model sich vorher schon ausreichend Zeit genommen haben, um sich kennenzulernen und aufeinander einzustellen. Viele Fotografen bevorzugen daher ein Treffen vor dem eigentlichen Shooting. Dieses dient dann dazu, sich kennenzulernen, die Bildidee zu besprechen, sich aufeinander einzustellen. Ist das nicht möglich, beispielsweise weil bei einem Job das Model von weiter entfernt gebucht wird und nur zum Fotoshooting angereist oder eingeflogen kommt, so ist es umso wichtiger, dass sich der Fotograf vor Shootingbeginn ausreichend Zeit nimmt, um mit dem Model Small Talk zu halten.
Erfolgreiche Fotografen wissen um die Bedeutung dieser Kennenlern-Zeit, weshalb sie Aufnahmen unter Zeitdruck oftmals ablehnen. Das ist dann nicht Ausdruck einer „künstlerischen Marotte“ oder zeugt gar von Arroganz, sondern es ist einfaches Kalkül, dass man für Fotoaufnahmen gewisser Schaffenshöhe und Qualität eben auch genügend Zeit benötigt.
Abbildung 1-5: Nur, wenn das Model sich wohlfühlt sieht das Lachen auch wirklich echt aus. Die Aufgabe eines guten Fotografen ist es daher, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, damit das Model sich zum einen ganz auf die Aufnahmen konzentrieren kann und zum anderen etwaige Alltagssorgen für die Dauer des Fotoshootings vergisst. Unter Zeitdruck ist das allerdings nicht möglich, weshalb sich der Fotograf entweder vor dem Shooting Zeit für ein Kennenlern-Treffen nehmen oder aber beim Shooting selber möglichst nicht unter Zeitdruck arbeiten sollte.
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinzu kommt, dass Zeitdruck nicht nur die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses verhindert, sondern auch der Kreativität des Fotografen nicht gerade förderlich ist. Ich selbst habe es schon häufiger erlebt, dass ich gerade anfing, „brauchbare“ (also außergewöhnliche) Fotos zu machen, aber der Blick auf die Uhr mich nervös werden ließ und damit jegliche Kreativität im Keim erstickt wurde. Kurz: Plant genügend Pufferzeit für eure Aufnahmen mit ein! Wenn ihr sie nicht braucht, ist es auch nicht weiter schlimm; aber wenn ihr genügend „Luft“ habt, lässt dieser Umstand euch kreativer und besonnener (und damit erfolgreicher!) arbeiten.
1.2 Kinder fotografieren
Wer Kinder fotografieren möchte, muss einen „Draht“ zu Kindern haben – oder anders ausgedrückt: Er oder sie muss selbst noch ein bisschen Kind sein; das hilft! Man muss Kinder ernst nehmen, ihre Bedürfnisse erahnen und sich darauf einstellen.
Man kann Kindern nicht sagen: „Stell dich da mal vor dem Hintergrund, wir machen jetzt schöne Fotos.“ So funktioniert das nicht.
Wer Kinder fotografieren möchte, kann das auf zwei verschiedene Weisen versuchen. Entweder im Sinne einer beobachtenden, nicht-eingreifenden Fotografie. Oder aber im Sinne einer aktiven Beteiligung. Dann wird das Fotografieren beziehungsweise Fotografiertwerden zum Spiel. Bei dieser Variante ist es notwendig, die Kleinen einzubinden, sie also aktiv teilhaben zu lassen. Das kann beim Ausdenken der Bildidee beginnen, sollte auf jeden Fall aber bei der Umsetzung erfolgen. Das Kind wird das Fotoshooting in guter, spaßiger Erinnerung behalten – was es beim nächsten Mal leichter macht, wenn wieder mal ein Fotoshooting ansteht.
Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es dem Nachwuchs wahnsinnig imponiert, wenn man ihnen zwischendurch immer mal wieder die gemachten Fotos auf dem Display der Kamera zeigt. Das finden sie dann in der Regel total klasse und machen mit Begeisterung weiter.
Ich habe auch keine Scheu, den Kleinen selbst mal meine Kamera umzuhängen, damit sie mit meiner Hilfe Fotos von den anderen Kids machen. Passt nur auf, dass sie die schwere Kamera nicht fallenlassen oder mit ihr andere Kinder versehentlich umhauen …!
Abbildung 1-6: Ab einem gewissen Alter, so in etwa ab Schulalter, kann man die „Kleinen“, wenn sie nicht mehr mit allzu großer Begeisterung vor der Kamera stehen (wie noch in den Jahren zuvor), mit Modelhonorar „bestechen“. Schließlich haben auch Nachwuchs-Boxer schon Konsumwünsche wie zum Beispiel das neueste Nintendo-Spiel oder die neue Kollektion der Star Wars-Sammelkarten.
Besser als Bestechung funktioniert aber die Überzeugung: Wenn man eine „coole“ Idee findet, welche die Mini-Models – aus Imagegründen gegenüber den Klassenkameraden – gerne mitmachen, ist das allemal erfolgversprechender als bei der Variante des Mini-Jobbers. Nikon D3X mit 1,4/85mm Nikkor. 1/125 Sekunde, Blende 4, ISO 100.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Was Kinder gar nicht mögen, sind gestellte Fotos, auf denen sie stillstehen sollen. Das berühmte Familienfoto, welches der Oma zu Weihnachten verschenkt werden soll, ist nicht gerade das, was den Kids Spaß bereitet.
Besser ist es, sie Quatsch machen oder Grimassen schneiden zu lassen. Beliebt sind auch Actionfotos, also beispielsweise Fotos im Sprung, beim Herumrennen oder beim auf die Bäume klettern.
Abbildung 1-7: Kinder lieben Actionfotos. Finden sie die Fotos „cool“, dann laufen sie – ausnahmsweise – auch mal mehrfach am Strand auf und ab; was sonst natürlich undenkbar wäre! Nikon D700 mit 4/24-120mm Nikkor. 1/800 Sekunde, Blende 7,1, ISO 200.
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Abbildung 1-8: Wenn die Kinder Fratzen machen dürfen, stellen sie sich gern in Pose. Nikon D3 mit 2,8/24-70mm Nikkor, bei verwendeter Brennweite 24mm. 1/50 Sekunde, Blende 5, ISO 1600.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Bei kleineren Kindern, also so zwischen 12 Monaten und 4 Jahren, kann man noch sehr leicht Aufmerksamkeit erzielen (zum Beispiel durch Zurufen (oder bei jüngeren Kindern ein Lied singen), Winken, Tierlaute nachmachen, Lieblings-Kuscheltier über die Kamera halten etc.) – sodass schöne Aufnahmen eigentlich recht leicht gelingen. Allerdings ist die Aufmerksamkeitsspanne der Kleinen relativ kurz, weshalb man sich mit den Fotos beeilen sollte.
Abbildung 1-9: Ein neues Spielzeugauto – und schon ist der kleine Flynn – zumindest für ein paar Minuten – beschäftigt genug, sodass er in Ruhe fotografiert werden kann. Altes Spielzeug hingegen hätte nicht diesen Aufmerksamkeitseffekt, weshalb es sich für Kinderfotograf(inn)en empfiehlt, immer Spielzeug vorrätig zu haben, das die Kleinen (noch) nicht kennen. Glücklicherweise passte das neue Spielzeugauto farblich zum Outfit von Flynn, was einen nicht unerheblichen Anteil an der Bildwirkung hat. Nikon D4 mit 1,4/85mm Nikkor. 1/400 Sekunde, Blende 2,5, ISO 400.
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinweis
Bei Kindern (und bei Erwachsenen gleichermaßen) hilft Loben ungemein. Wer gelobt wird, wie toll er (oder sie) das Modeln macht, ist stolz und gibt sich fortan noch mehr Mühe.
Gönnt den Kindern zwischendurch aber unbedingt kurze Pausen! Niemand möchte ständig von der Kamera verfolgt werden – und in den Pausen natürlich schon gar nicht. Ein kleiner Snack zwischendurch, oder ein Eis, und frisch gestärkt sind die Kleinen dann wieder fit für neue Fotos.
Bei Umbauten, beispielsweise im Studio beim Hintergrundwechsel, sollte man die Nachwuchs-Models gern auch mal mit anpacken lassen. Sie fühlen sich dann wichtig, erwachsen genug, um zu helfen. Ebenso ist das Einbringen von Ideen hilfreich, selbst wenn nicht alles, was die Kleinen vorschlagen, realisierbar ist. Die Entwicklung des Teamgedankens ist entscheidend und für die späteren Fotos durchaus von Wert. Auch hier gilt: Ein Model, welches sich mit der Aufgabe identifiziert, ist 1000 Mal motivierter als ein Model, das nur Anweisungen befolgt.
Beim Shooting, das übrigens gut vorbereitet sein sollte (mit Hintergrund- und Licht-Aufbau, Belichtungstests, etc.), solltet ihr flexibel genug sein, um zwischendurch auch mal Schnappschüsse machen zu können. Denn die Mini-Models richten sich mit ihrer guten Laune weder nach Setaufbau noch Ablaufplan. Sie machen zwischendurch immer wieder mal Quatsch, schneiden Fratzen und nehmen neugierig die neue Umgebung in Augenschein. Am besten ist es,wenn ihr eigens eine Kamera hierfür vorbereitet, die mit einem Systemblitzgerät ausgestattet den Anforderungen an Schnappschüsse (Belichtungsautomatik, Zoomobjektiv, schneller Autofokus, höherer ISO-Wert, etc.) gerecht wird.
Tipp
„Einer der häufigsten Fehler, den Erwachsene bei der Fotografie von Kindern machen, ist das Fotografieren aus ihrer normalen (»Vogel-«) Perspektive. Dies ist häufig langweilig und oft genug auch unangemessen, schließlich müssen die Kleinen ständig hochgucken, um in die Kamera schauen zu können. Gehen Sie also lieber in die Hocke oder legen Sie sich sogar bäuchlings auf den Boden! Durch die ungewohnte Perspektive werden die Aufnahmen auf jeden Fall deutlich interessanter, versprochen! Einfach mal ausprobieren!“ (aus: „Babys und Kinder fotografieren“; J. Brüggemann und L. Ebert; mitp-Verlag; ISBN: 978-3826690624; 204 Seiten; 29,95 Euro).
Abbildung 1-10: Ich versuche bei meinen Kinderfotos möglichst immer, auf gleicher Augenhöhe mit den Kleinen zu bleiben. Das schien allerdings ungewohnt für Lennox zu sein, denn er starrte mich eine ganze Weile recht überrascht an, was ich dazu nutzte, in aller Ruhe ein paar schöne Porträts von ihm zu schießen. Nikon D3 mit 2,8/300mm Nikkor. 1/800 Sekunde, Blende 4,5, ISO 200.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinweis: Kinder sollte man nur solange fotografieren, wie sie noch Spaß an den Aufnahmen haben! Leider kippt beim Nachwuchs die Stimmung irgendwann sehr schnell, was man als Erwachsener (Fotograf) aber unbedingt respektieren sollte.
1.3 Beautyfotos
Wer Beautyfotos macht, versucht, schöne Menschen noch schöner zu fotografieren. Damit habe ich die erste wichtige „Zutat“ beim Erfolgsrezept „Beauty-Fotografie“ bereits verraten: Erfahrene Beauty-Fotografen suchen sich möglichst die schönsten Models für ihre Aufnahmen aus.
Auch wenn mancher der Leser jetzt denkt „Na, mit einem so gut aussehenden Model könnte ich solche Fotos auch machen“, verkennt, dass zum Aufgabenfeld eines Modelfotografen nicht nur das Beherrschen von Zeit, Blende, ISO, Autofokus und der Beleuchtung gehört, sondern eben auch das Casten der Models. Gute Fotografen haben ein Auge für neue Talente, für Fotogenität.
Hinweis: Das Finden neuer Models ist eine Aufgabe, die vielen Fotografen schwerfällt, weshalb ich mich hier in dieser Tutorial-Reihe später noch ausführlich diesem Thema widmen werde.
Zur Beauty-Fotografie gehört, dass die Models gut geschminkt sind. Allerdings kann sich nicht jedes Model gut schminken, weshalb der Einsatz von Visagist(inn)en sinnvoll ist.
Abbildung 1-11: Zu den „Zutaten“ von Beautyfotos gehört es, dass das Model nicht nur klasse aussieht, sondern auch möglichst gut geschminkt ist. Nikon D4 mit 2,0/200mm Nikkor. 1/125 Sekunde, Blende 3,5, ISO 125.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Tipp: Manchmal kommt es jedoch vor, dass das Model professionell und gut geschminkt wird, es aber nach dem Schminken einen Schreck bekommt, weil es sich nicht wiedererkennt. Nicht wenige Frauen haben ein Problem damit, wenn sie anders geschminkt werden, als sie es gewohnt sind.
Sie erkennen sich dann nicht wieder – und fühlen sich unwohl in ihrer Haut. In solchen Fällen könnt ihr getrost auf den Einsatz eines Visagisten verzichten – es wäre rausgeschmissenes Geld. Klärt also vorher ab, ob euer Model bereit ist, sich „verzaubern“ zu lassen. Oder ob es partout wie immer aussehen möchte.
Abbildung 1-12: Für Beautyfotos sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass das Model mit gemachten und/oder gepflegten Fingernägeln zum Fotoshooting erscheint. Beim Vorgespräch weist euer Model auf diesen Umstand vorsichtshalber noch einmal hin.
(Foto © 2006: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Beautyfotografen sollten nicht nur ein Gespür für Farben, Formen und Bildgestaltung haben, sondern auch kreativ und bereit sein, für das „perfekte Foto“ hart zu arbeiten. Die Arbeit im Team (zum Beispiel mit Visagist und Hairstylist) ist im beruflichen Alltag Standard; aber auch das will gekonnt sein.
Des Weiteren sollte sich der Beautyfotograf nicht beeindrucken lassen vom äußeren Schein der Models. Schließlich ist Schönheit Grundvoraussetzung, um als Beautymodel arbeiten zu können. Wichtiger sind aber auch hier Zuverlässigkeit und die Fähigkeit zum konzentrierten Arbeiten im Team.
Leider habe ich schon mehrfach erlebt, dass besonders gut aussehende (sehr junge) Models meinen, dass ihr Aussehen ihnen Unzuverlässigkeit und unprofessionelles Auftreten erlaubt. Doch schöne Models gibt es glücklicherweise genug, und wie oben schon ausgeführt, sollte sich kein Fotograf ein divenhaftes Verhalten eines eingebildeten Models „antun“.
Abbildung 1-13: Das abgebildete Model, Sandra, hat den Titel einer „Miss Germany“. Trotzdem fanden einige der Teilnehmer meines Ibiza-Workshops 2012, dass sie schwieriger zu fotografieren sei als andere meiner Models, die beim Workshop ebenfalls dabei waren. Dieses Phänomen habe ich schon häufiger beobachtet: Models mit „Miss-Titel“ sehen zwar klasse aus und haben tolle Maße – aber außergewöhnlich fotogen sind sie oftmals nicht.
Natürlich kann man trotzdem, mit ein bisschen fotografischer Erfahrung und konzentrierter Arbeit, tolle Fotos mit ihnen machen! Aber leichter ist es oftmals mit anderen Models (weil diese fotogener sind). Nikon D3X mit 2,8/105mm Makro Nikkor. 1/125 Sekunde, Blende 3,5, ISO 200.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinweis: Was ein Beauty-Fotograf aus fotografischer Sicht alles können sollte, folgt in den nächsten Teilen dieses Tutorials.
1.4 Fashion-Fotografie
In der Fashion-Fotografie kommt es nicht nur auf hübsche Models an, sondern vor allem auch auf die richtige Präsentation der Kleidung. Fashion-Fotografen sollten daher neben fotografischem Know-how viel Sinn für Mode und Gespür für Trends mitbringen, um erfolgreich bestehen zu können.
Abbildung 1-14: Farben und Requisiten spielen in der Fashion-Fotografie eine große Rolle. Wer sich unsicher ist, welche Kombinationen „funktionieren“, sollte bei Auftragsarbeiten lieber einen Stylisten hinzubuchen. Da ich der Meinung bin, dass ich als Fotodesigner für des Design des gesamten Fotoinhalts verantwortlich bin, also auch für alle einzelnen Bildelemente, lasse ich mir diese bedeutende Arbeit nicht abnehmen.
Nikon D3 mit 2,8/105mm Makro Nikkor. 1/160 Sekunde, Blende 8, ISO 200.
(Foto © 2008: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Fahion-Fotografie kann unterteilt werden in das Fotografieren von Models und das Fotografieren von Legeware. Beides hängt eng zusammen, denn nicht selten werden Fotos mit Models ebenso benötigt wie Fotos von der Legeware. Entsprechend interessierte Fotografen sollten sich also im Klaren darüber sein, dass beide Fotogebiete auf einen zukommen werden, wenn man als Fashion-Fotograf arbeiten will.
Abbildung 1-15: In der Fashion-Fotografie ist es – je nach Stilrichtung der Kleidungsstücke – oftmals notwendig, das Model „cool“ aussehen zu lassen. Eine lässige Pose, geeignete Requisiten und ein effektvoller Hintergrund sind dann die Zutaten, um dies zu erreichen. Hier habe ich meinen Para-Blitzschirm als Hintergrund verwendet. Nikon D3X mit 1,4/85mm Nikkor. 1/80 Sekunde, Blende 2,5, ISO 100.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Nicht nur die Modetrends, auch andere aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen sollte der Fashion-Fotograf kennen. Wer Mode fotografiert, von dem erwartet man nun mal entsprechendes Wissen; und nichts wäre schlimmer, als Klamotten eines gerade voll angesagten Labels mit Accessoires zu kombinieren, die seit Monaten völlig „out“ sind.
Selbstverständlich spielt auch die Wahl des Hintergrundes eine wichtige Rolle bei der Präsentation von Mode. Auch hier muss der Fashion-Fotograf Fingerspitzengefühl beweisen, um die Ware zielgruppengerecht zu präsentieren. In der schnelllebigen Modewelt geht es um viel Geld, das es zu verdienen gilt. Die Werbefotos haben dabei einen entscheidenden Anteil am Erfolg oder Misserfolg.
Abbildung 1-16: Gerade bei Fashion-Fotos spielt der passende Hintergrund eine wichtige Rolle, um die Kleidung zielgruppengerecht präsentieren zu können. So wird man edle Strandbekleidung in einem noblen sommerlichen Ambiente präsentieren: mit Sonne, Palmen oder Pool im Vorder- oder Hintergrund. Hier hatte ich bei meinem Ibiza-Workshop im Mai 2010 eine schicke Villa für einen Tag gemietet, damit die Teilnehmer eine typische, nach „High Society“ aussehende Location für ihre Fashion-Fotos zur Verfügung haben.
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Im Regelfall muss bei Fashion-Fotos darauf geachtet werden, dass die Kleidung gut sitzt und die Farben möglichst farbecht wiedergegeben werden. Auch das Herausarbeiten der Stoffbeschaffenheit mittels gezielter Lichtsetzung gehört bei einem guten Fashionfoto dazu.
Eine Herausforderung für jeden Fotografen ist es, schwarze Kleidung entsprechend den Kundenwünschen zu fotografieren: Gerade bei bestimmten Stoffen (zum Beispiel bei Samt oder Wolle), wenn das Produkt tiefschwarz ist, ist es sehr schwer, die Stoffbeschaffenheit fotografisch wiederzugeben. Dann muss schon mal das Doppelte oder Vierfache an Licht eingesetzt werden, damit Zeichnung in die schwarzen Flächen kommt. Die Kunst ist es dabei, nur den Stoff, nicht aber das Model zu überbelichten.
Abbildung 1-17: Völlig unproblematisch sind schwarze glänzende Stoffe wie Lack und Leder. Aufgrund der Reflexionen am glatten glänzenden Stoff können Schnitt und Sitz gut beurteilt werden. Anders sieht es hingegen bei weichen matten schwarzen Stoffen aus: Diese „schlucken“ das Licht, sodass Schnittmuster, Nähte, Taschen und andere abgesetzte Details nicht erkannt werden können. Das Ergebnis wäre eine einzige schwarze Masse, ohne Zeichnung.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Abbildung 1-18: Bei freien Fashion-Arbeiten, TFP-Shootings, die von Fotografen und Models zum Üben, für die Mappe oder zur Eigenwerbung gemacht werden, ist der Regelfall, dass das Model nahezu ausschließlich mit schwarzer Kleidung ankommt. „Das kleine Schwarze“, eng sitzend und die Figur betonend, hängt anscheinend im Kleiderschrank eines jeden Models. Doch unsere Augen sehen besser als die Kamera; unsere Augen erkennen auch in matten schwarzen Stoffen noch Zeichnung – wo die Kamera nur noch „Schwarz“ sieht.
Das Ergebnis ist dann oft enttäuschend, denn „live“ sieht das kleine Schwarze unweit attraktiver aus als auf Fotos. Seid also vorsichtig, wenn es bei Modeaufnahmen um schwarze Klamotten geht! Kontrolliert eure Fotos auf Detailzeichnung und Belichtung, damit es hinterher nicht zur bösen Überraschung kommt! (Hier hatte ich allerdings Glück, dass wenigstens die Ärmel außen mit Spitze versehen waren und die Haut stellenweise durchschimmern konnte. Und auch die blaue Tasche trägt bei diesem Foto rechts dazu bei, das eintönige Schwarz des Kleides aufzulockern).
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
1.5 Akt- und Erotikfotografie
Akt- und Erotikfotografie werden oft als die „Königsdisziplinen“ der Fotografie bezeichnet. Dies ist mir jedoch nicht ganz verständlich, denn ein gutes Aktfoto zu schießen ist nicht schwieriger als ein gutes Porträt oder ein Fashionfoto. Da ich mich schon recht lange mit der Aktfotografie beschäftige, kann ich sogar behaupten, dass es mir persönlich schwerer fällt, ein gutes Landschaftsfoto als ein gutes Akt- oder Erotikfoto zu schießen. (Was aber auch daran liegen mag, dass ich morgens nicht gern früh aufstehe …)
Es gibt aber einen relevanten Grund, warum viele Fotografen die Akt- und Erotikfotografie als „Königsdisziplin“ bezeichnen. Denn bei allen anderen fotografischen Themen ist es egal, ob das Ergebnis gelingt oder nicht. So ist es zum Beispiel deiner Landschaft egal, ob der Fotograf die Aufnahme verhauen hat. Auch dem Tier ist es egal, ob es gut oder schlecht fotografiert wurde. Und selbst bei Porträts kann sich die fotografierte Person zwar ärgern, wenn er oder sie unvorteilhaft fotografiert wurde; das „Ende“ ist das aber noch lange nicht. Bei Akt- oder Erotikfotos hingegen bedeutet ein schlechtes Resultat, dass die Fotos schnell peinlich wirken, was der Ober-Gau für die fotografierte Person ist, insbesondere, wenn die Fotos auch noch veröffentlicht werden sollen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Fotografie bei Akt und Erotik nicht unbedingt schwieriger oder anspruchsvoller ist. Nur die Konsequenzen bei schlechten Fotos sind deutlich weitreichender. Daher sollten Akt- und Erotikfotografen niemals alle Fotos (der Öffentlichkeit, dem Model, etc.) zeigen; lediglich die besten ausgewählten und leicht bearbeiteten Ergebnisse sollten präsentiert werden.
Doch wo liegt nun der Unterschied zwischen Akt- und Erotikfotografie?
Abbildung 1-19: Man kann sich die Bereiche Akt- und Erotikfotografie am besten als zwei Mengen vorstellen, die eine gemeinsame Schnittmenge aufweisen. Damit wird klar, dass es Aktfotos gibt, die ohne Erotik auskommen. Und umgekehrt gibt es Erotikfotos, die nicht Aktfotos sind. Drittens gibt es aber auch erotische Aktfotos; also Fotos, die beiden Bereichen zugehörig sind.
Aktfotos sind Fotos, die den nackten Körper zum Gegenstand haben. Oftmals in abstrakter und meist in idealisierender Form. Doch auch dokumentarische Aktfotos sind denkbar. Die Mehrheit der publizierten Aktfotos wurden aber dem Schönheitsideal unterworfen.
Abbildung 1-20: Klassische Aktfotografie ist die Fotografie des (meist schönen) Körpers; oftmals anonymisiert. Anders als in der erotischen Fotografie benötigt man in der klassischen Aktfotografie nicht unbedingt die Personifizierung. Das Ablichten einzelner Körperdetails – nicht selten mithilfe von Licht und vor allem Schatten – reicht aus, um zu wirkungsvollen und meist ästhetisch schönen Ergebnissen zu kommen.
Ein gewisser Abstraktionsgrad unterstreicht das Bestreben des Fotografen, zeitlos schöne Körperansichten zu erschaffen. Auch aus diesem Grund habe ich dieses Foto für das Cover meines neuen Buches „Akt- und Erotikfotografie“ ausgewählt. Nikon D3X mit 2,8/70-200mm Nikkor. 1/160 Sekunde, Blende 22, ISO 100.
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Erotische Fotos hingegen sind nicht auf die Nacktheit des gezeigten Körpers angewiesen. In der Erotikfotografie kommt es auf die (erotische) Bildaussage an. Das Andeuten spielt hier eine wesentliche Rolle.
Die Fantasie des Bildbetrachters soll in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, was durch vielerlei Dinge möglich ist: ein verheißungsvoller Blick, eine sexy Pose, bestimmte Signalfarben, ausgewählte Kleidung wie Reizwäsche, passende Requisiten, das Andeuten von Berührung durch die Hände des Models, ein Schmollmund, etc. Der erotischen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Abbildung 1-21: Wenn Models Schmollmund machen, Brüste zeigen und an den knapp sitzenden Klamotten zerren sind die Ergebnisse selbstverständlich erotischer Natur. Erotik ist weniger das, was der Bildbetrachter sieht – sondern das, was er (oder sie) sich vorstellt. Das Weiterdenken (!) macht die Erotik aus. Die Fantasie des Bildbetrachters wird angeregt. Dadurch betrachtet er oder sie das Foto nicht mehr als statische Ablichtung eines attraktiven Menschen, sondern als Ausgangspunkt weiterführender Gedanken … Nikon D3X mit 2,8/24-70mm Nikkor. 1/200 Sekunde, Blende 11, ISO 200.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Entscheidend ist, dass die Erotikfotografie bewusst mit der Fantasie des Bildbetrachters spielt. Diese(r) soll weiterdenken. Es wird also meist nicht „Alles“ gezeigt, denn das Andeuten reicht vollkommen. Das (erotische) Foto gibt lediglich den Anstoß. Den Rest erledigt das Gehirn des Bildbetrachters schon alleine … Abbildung 1-22: Eine sehr dynamische, sexy Pose! Hier sieht man gut, wie effektvoll die Körpersprache in der Erotikfotografie sein kann! Nikon D3S mit 2,8/24-70mm Nikkor bei verwendeter Brennweite 29mm. 1/160 Sekunde, Blende 4,5, ISO 800.
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Welche Anforderungen muss nun ein guter Erotikfotograf erfüllen? Zunächst einmal sollte er sein Handwerk verstehen, d.h., technisch einwandfreie Arbeit abliefern. Darüber hinaus sollte die oder der Fotograf(in) weltoffen und nicht verklemmt sein. Wer moralische Probleme damit hat, insgeheim also denkt, dass sich das Zeigen vor einer Kamera nicht gehört, die oder der sollte irgendetwas anderes fotografieren! Anders formuliert: Man sollte Nacktheit als etwas Natürliches betrachten – und nicht als etwas Ungehöriges oder gar Verdorbenes.
Erotische Fantasien werden ebenfalls hilfreich beim Finden von Bildideen vor einem Shooting sein. Das muss aber nicht heißen, dass nur eigene Fantasien fotografiert werden sollten. Um Abwechslung in meinen Fotos zu haben, greife ich nicht selten auf Anregungen durch die Models zurück. Das Einbinden der Ideen der Models ist übrigens ebenfalls eine gute Methode, um Langeweile zu vermeiden, und außerdem sorgt es dafür, dass das Model motiviert das Shooting bestreitet (wenn dessen Ideen aufgegriffen und umgesetzt werden).
Abbildung 1-23: Als „Einzelkämpfer“ hat man es nicht immer leicht, zu professionellen Ergebnissen zu kommen. Das Einbinden des Models ist eine Möglichkeit, um Ideen zu sammeln. Aber es gibt auch Situationen, wo eine helfende Hand von großem Nutzen wäre, und sei es nur, um einen Aufheller (rechts im Bild) oder Abschatter (links im Bild) zu halten.
Bei meinen Auslands-Fotoworkshops sind die Teilnehmer daher in Gruppen (à 3 Teilnehmer) eingeteilt; es wird abwechselnd einzeln fotografiert, sodass jeder Fotograf zwei Helfer hat, die ihm bei der Realisierung seiner Bildidee behilflich sind. Das steigert die technische Qualität der Fotos enorm!
(Foto © 2010: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Hinweis: Entscheidend in der Akt- und Erotikfotografie ist aber, dass der Fotograf respektvoll und sensibel die Fotoshootings bestreitet. Nur wer auf die Belange des Models eingeht, wird Fotos machen, bei denen sich die Person vor der Kamera wohlfühlt, was die wichtigste Voraussetzung für gute Bilder ist! Und damit schließt sich auch schon wieder der Kreis, denn in der Modelfotografie im Allgemeinen zählt neben gutem Aussehen der Models gleichermaßen das Können des Fotografen und vor allem die gute Zusammenarbeit zwischen beiden!