Bevor ihr euch also während der Konzertvorbereitung Gedanken über die Einstellung der drei Belichtungsparameter Verschlusszeit, Blendenöffnung und ISO-Einstellung macht, versucht herauszufinden, wie die Lichtsituation vor Ort im Konzertsaal sein wird. Wenn das nicht möglich ist, seid ihr eben gezwungen, erst unmittelbar vor Fotografierbeginn, ganz zu Beginn des Konzerts im Pressegraben, diese vorzunehmen.
9.1 Weißabgleich
Farbstiche in der Farbe des oder der dominierenden Scheinwerfer(s) sind ein gewünschter Effekt bei Konzertfotos. Eigentlich kann man aus diesem Grunde behaupten, dass der Weißabgleich somit keine Rolle spielt. Doch das wäre nicht ganz richtig.
Auch wenn die meisten Konzertfotos im Wesentlichen davon leben, bunt oder zumindest recht farbenfroh zu sein, ist eine falsche Farbigkeit (Farbton) zumindest im Gesicht der Künstler unter Umständen schon recht störend.
Abbildung 9.1: Bei klassischen und Schlager-Konzerten ist eine stark farbig geprägte Lightshow in der Regel verpönt. Hier sind die Lichtbedingungen für uns Konzertfotografen wesentlich angenehmer, zumal die Beleuchtung auch nicht so schnell wechselt. Hier abgebildet ist ein sichtlich erschöpfter Udo Jürgens bei seinem Konzert am 23. Oktober 2006 in der Max-Schmeling-Halle in Berlin.
(Foto © 2006: DAVIDS/Sven Darmer – www.svendarmer.de)
Eigentlich müsste für die Lichttechniker, die für die Lightshow während eines Konzerts verantwortlich sind, die Regel gelten, von hinten, aus dem Off der Bühne, vielfarbige Scheinwerfer einzusetzen, und von vorne hingegen, zur Beleuchtung der Künstler, nur weißes, neutrales Licht. Somit wäre gewährleistet, dass die Musiker auch auf allen Fotos gut und ansehnlich „rüberkommen“.
Allerdings machen sich die meisten Lichttechniker keine Gedanken darüber, was wir Fotografen uns wünschen würden und wie die Farbigkeit der eingesetzten Scheinwerfer, die die Gesichter der Musiker erleuchten, auf den Fotos wirkt. Das ist bestimmt bei bedeutenden TV-Aufnahmen großer Live-Konzerte anders; für das Gros der Konzerte gilt hingegen, dass wir Fotografen mit allem rechnen müssen – zumindest in Bezug auf die Lichtsituation.
Abbildung 9.2: Bei den meisten Live-Konzerten spielt die möglichst farbenfrohe Lightshow eine wichtige Rolle. Da kann es dann auch schnell passieren, dass die Bandmitglieder farbiges Licht abbekommen. Das muss nicht immer störend sein, wie auch hier bei diesem Foto. Für nahe Porträts der Künstler hingegen wünschen wir Fotografen uns aber meist etwas „neutraleres“, weißes Licht; zumindest in den Gesichtern der Akteure. Das Foto zeigt Schlagzeuger Iain Bayne bei der Arbeit. RUNRIG-Konzert am 29. August 2012 in Bochum/Witten, im Rahmen des Zeltfestivals Ruhr. Nikon D4 mit 1,4/85-mm-Nikkor. 1/250 Sekunde, Blende 2,2, ISO 2.500. Belichtungsautomatik Blendenpriorität (Zeitautomatik).
(Foto © 2012: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Nun könnten viele Konzertfotografen hergehen und per se den Weißabgleich auf Automatik stellen. Doch das hat Nachteile, weshalb ich eine andere Vorgehensweise empfehle: Fotografiert im RAW-Format! So kann der Weißabgleich nachträglich verändert und angepasst werden.
Entscheidet euch dann für einen bestimmten Weißabgleich; entweder Kunstlicht oder Tageslicht oder auch eine manuelle feste Einstellung. Auch wenn das nicht immer richtig ist und die Automatik oftmals bessere Ergebnisse zustande bringen würde. So habt ihr aber den Vorteil, dass, wenn in der Nachbereitung mehrere Fotos (mit den gleichen Arbeitsschritten) bearbeitet werden sollen, ihr die Arbeitsschritte zur Farbanpassung auch identisch durchführen könnt.
Wenn alle Fotos eines Konzertes im gleichen Weißabgleich fotografiert wurden, kann die Bildbearbeitung auch weitgehend automatisiert durchgeführt werden (Befehlsreihenfolge in Photoshop unter Aktionen abspeichern!). Würdet ihr hingegen alle Fotos im Automatikmodus fotografieren, so würden die Fotos unterschiedlich ausfallen, was eine Bearbeitung mittels fester Befehlsfolgen unmöglich machen würde.
Abbildung 9.3: Culcha Candela beim Konzert am 20. August 2011. Wenn das Licht zu farbstichig für Porträtaufnahmen ist, solltet ihr nach anderen Möglichkeiten suchen. Hier habe ich mich dafür entschieden, mehr die gesamte Bühnensituation zu fotografieren, das heißt, die Gruppe als Ganzes abzulichten, mitsamt der Bühnenbeleuchtung. Fotografen müssen flexibel sein. Nicht immer sind die Rahmenbedingungen ideal. Nicht immer kann das fotografiert werden, was man sich vorher vorgenommen hatte.
Doch wenn man sich an die Gegebenheiten, die beim Live-Konzert für uns Fotografen unabänderlich sind, anpasst, sozusagen „das Beste draus macht“, dann kann man auch tolle, stimmungsvolle Aufnahmen mit nach Hause nehmen.
Beharrt also nicht auf etwas, das unter den herrschenden Umständen unmöglich ist. Seid flexibel, passt euch an, und dann werdet ihr auch erfolgreich sein. Nikon D3S mit 4,0/24-120-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 24mm. 1/500 Sekunde, Blende 5,6, ISO 3.200.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
9.2 Automatische Bildwiedergabe
Viele Fotografen nutzen den entscheidenden Vorteil der Digitaltechnik nicht, oder zumindest viel zu selten: die Möglichkeit, die gemachten Aufnahmen schon direkt beim Shooting schnell und unkompliziert zu kontrollieren (beispielsweise auf richtige Belichtung, Schärfe, Ausschnitt, Gesichtsausdruck des porträtierten Künstlers etc.).
Abbildung 9.4: Pete Doherty am 7. August 2009 im Konzert beim Berlin Festival 2009. Mithilfe der automatischen Bildwiedergabe, die man im Kameramenü einstellen kann, lässt sich schnell ohne Zeitverlust das jeweils letzte geschossene Foto für eine kurze Zeit anzeigen. So kann jeder Konzertfotograf schnell überprüfen, ob die von ihm vorgenommenen Kameraeinstellungen zum optimalen Ergebnis führen, was gerade bei schwierigen Lichtverhältnissen (wie auch bei diesem Foto) ratsam ist. Ich empfehle, ca. alle zwanzig Aufnahmen einen kurzen Kontrollblick auf die Ergebnisse zu werfen, mindestens aber alle 1-2 Minuten. So kann vermieden werden, dass sich der gleiche Fehler über alle gemachten Fotos ausstreckt.
(Foto © 2009: DAVIDS/Sven Darmer – www.svendarmer.de)
Man sollte auf jeden Fall alle paar Minuten einen kurzen Blick auf das Kameradisplay werfen, um zumindest die jeweils letzte Aufnahme zu kontrollieren. Viel zu schnell kann man aus Versehen eine falsche Einstellung wählen (oder ungewollt etwas verstellen) und so die ganze zur Verfügung stehende Zeit damit fotografieren.
Dann werden alle Aufnahmen unbrauchbar sein. Das kann durchaus passieren, denn in der Hektik der kurzen Fotografierzeit (oftmals ja nur für die Dauer von drei Liedern) geraten viele Konzertfotograf(inn)en in Stress und bewahren nicht mehr einen kühlen Kopf, sondern versuchen, in der kurzen Zeit möglichst viele Fotos zu schießen.
Besser ist es hingegen, ruhig und bestimmt die Kameraeinstellungen vorzunehmen und in regelmäßigen Abständen (ca. 1-2 Minuten) zumindest die jeweils letzte Aufnahme zu kontrollieren, um im Falle, dass falsche Einstellungen die Fotos suboptimal werden lassen, diese zu korrigieren.
Hinweis: Lasst euch aufgrund der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit nicht stressen! Bewahrt einen kühlen Kopf, kontrolliert die gemachten Fotos anhand der automatischen Bildwiedergabe (die im Kameramenü eingestellt werden kann, sodass jedes Foto kurz und bitte vollformatig, also ohne so sinnlose Zusatzanzeigen wie Histogramm etc., angezeigt wird).
Es ist auf jeden Fall besser, nur wenige, aber dafür brauchbare und möglichst gute Fotos vom Konzert mit nach Hause zu bringen, als viele schlechte oder gar komplett unbrauchbare!
Geratet nicht in Panik, wenn ihr mitten im Konzert seht, dass die bisher gemachten Fotos unbrauchbar sind. Versucht, in Ruhe nachzudenken, woran dies liegen kann, und korrigiert dann die Einstellungen. Schnell kommt man unbeabsichtigt im Gedränge des Pressegrabens an ein Rädchen der Kamera, welches zum Beispiel die Verschlusszeit einstellt. Schon fotografiert man nicht mehr mit der vorher eingestellten Verschlusszeit, sondern auf einmal mit einer viel zu langen, was Bewegungs- und Verwacklungs-Unschärfe zur Folge haben kann (wenn diese für Konzertfotos deutlich zu lang ist).
Oder aus Versehen wird der Schalter von Autofokus auf manuelle Fokussierung umgestellt und alle Aufnahmen werden unscharf (was man bei Normal- und Telebrennweiten selbstverständlich bemerken würde, bei Weitwinkelaufnahmen aber nicht unbedingt).
Ebenfalls kann es passieren, dass man für eine bestimmte Lichtsituation die Belichtungskorrektur auf beispielsweise +2 gestellt hatte und dann im weiteren Verlauf des Konzerts unter anderen Bedingungen vergessen hat, diese wieder herauszunehmen, was dazu führt, dass alle Aufnahmen hoffnungslos überbelichtet sind.
Möglichkeiten falscher Kameraeinstellungen gibt es viele, und daher ist der kurze Kontrollblick alle paar Minuten aufs Kameradisplay gerade für Konzertfotografen unerlässlich! (Ich habe übrigens schon mehrfach erlebt, dass Fotografen im Eifer des Konzerts dies vergessen hatten und mit komplett unbrauchbaren Fotos den Pressegraben verlassen mussten).
Abbildung 9.5: Die Indie-Rock-Band Mega! Mega! mit Sänger und Frontmann Antonino Tumminelli im Konzert bei Bochum Total am 12. Juli 2013. Wenn ich mir schnell und automatisch und ohne weitere Tasten zu drücken die gemachten Fotos kurz anzeigen lasse, spare ich Zeit bei der Bildkontrolle. Das ist besonders bei Konzertfotos wichtig, da man hier selten Zeit im Überfluss hat. Ein großer Kameramonitor in sehr guter Auflösung ist also bei Konzertfotografen (auch) wichtiges Kaufkriterium! Nikon D800 mit 2,8/70-200-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 125mm. 1/320 Sekunde, Blende 3,5, ISO 800.
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
9.3 Autofokus-Einstellungen
Kaum vorstellbar, aber vor gar nicht allzu langer Zeit mussten die Fotografen noch manuell fokussieren. Erst Anfang der 1980er Jahre kam der Autofokus bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras als Ausstattungsmerkmal hinzu: 1981 bei der Pentax ME F und 1983 bei der Nikon F3 AF (die mit dem klobigen Autofokus-Sucher und natürlich nur in Verbindung mit wenigen speziellen Autofokus-fähigen Objektiven).
Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, die Kamera automatisch scharf stellen zu lassen. Und auch die Fähigkeit vieler Autofokussysteme, bei sehr schwachen Lichtverhältnissen noch ausreichend schnell scharf zu stellen, ist beeindruckend und gerade für uns Konzertfotografen wichtig. (So funktioniert der Autofokus bei der von mir verwendeten Nikon D4 auch noch bei bis zu -2 LW). Allerdings hilft das beste AF-Modul nichts, wenn es vom Anwender falsch eingesetzt wird. Denn auch hier gilt wieder die Regel, dass der Fotograf genau Bescheid wissen sollte, was seine Kamera macht. Doch das ist leider nicht immer der Fall: Viele (Konzert-) Fotografen nutzen nicht ein bestimmtes Autofokusfeld, sondern überlassen der Kamera, welches der bis zu 51 Fokusmessfelder zum Scharfstellen verwendet wird.
Gerade wenn man aus dem Pressegraben heraus (nach oben) Richtung Bühne fotografiert, kann das problematisch sein, denn die Kamera verwendet das Autofokusmessfeld, welches den Punkt im Motiv erwischt, welcher der Kamera am nächsten gelegen ist.
Anders ausgedrückt: Auf den nächstliegenden Punkt wird scharf gestellt. Aufgrund der niedrigeren Perspektive aus dem Graben heraus ist das aber oftmals (je nach Bildausschnitt natürlich) der Oberschenkel des Künstlers, der Gitarren-Korpus oder eine Box, die am Bühnenrand steht oder der Mikrofonständer, der vor dem Künstler steht.
Kurz: Es ist mehr als problematisch, sich darauf zu verlassen, worauf die Kamera scharf stellt. Besser ist es, sich gezielt für ein einzelnes Autofokusmessfeld zu entscheiden, oder zumindest für eine Messfeld-Gruppe (zum Beispiel im Zentrum des Suchers liegend).
Verwendet ihr ein einzelnes Autofokusmessfeld, so ist das mittlere, zentriert gelegene die erste Wahl, denn dies ist immer am leistungsfähigsten. Achtet auf jeden Fall darauf, dass ihr nur Kreuzsensoren zum Scharfstellen verwendet. Verwendet ihr das mittlere Feld, so müsst ihr aber, je nach Bildgestaltung, mit Autofokusmesswertspeicher arbeiten.
Das funktioniert allerdings ganz einfach in der Autofokus-Betriebsart Einzelautofokus (AF-S). Hier wird der Auslöser bis zum ersten Druckpunkt betätigt und so der Wert gespeichert, bis der richtige Bildausschnitt vom Fotografen gewählt wurde und dann durch Durchdrücken des Auslösers ausgelöst wird. Die Verwendung des kontinuierlichen Autofokus (AF-C) kann ebenfalls in der Konzertfotografie sinnvoll sein, zum Beispiel, wenn auf den Sänger fokussiert wird, der sich dynamisch auf der Bühne hin- und herbewegt. Je nach Kameramodell und technischem Fortschritt führt die Verwendung des AF-C allerdings zu einer geringeren Trefferquote, weshalb – sofern möglich (bei unbewegten Objekten) – dem AF-S der Vorzug gegeben werden sollte.
Abbildung 9.6: Kurt Ebelhäuser von Blackmail bei kurzer Trink- und Rauch-Pause zwischen zwei Songs beim Konzert am 12. Juli 2013 in Bochum. Hier wurden vor allem Songs vom neuen, sehr empfehlenswerten sechsten Album der Band Blackmail II gespielt. Blackmail ist eine deutsche Independent-Band, die 1994 in Koblenz gegründet wurde. Wenn der Künstler auf der Bühne so still steht wie hier, dann ist die Verwendung des Einzelautofokus zusammen mit der Messwertspeicherung garantiert die beste Wahl. So kann man für ein optimales Ergebnis gezielt auf das Gesicht des Musikers scharf stellen. Nikon D800 mit 2,8/70-200-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 112mm. 1/320 Sekunde, Blende 3,5, ISO 800.
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Autofokus (-Messfeld) und Belichtungssteuerung (Spotmessung) kann man auch miteinander kombinieren: Verwendet man die Spotmessung als Belichtungsmessmethode und ein einzelnes Autofokusmessfeld zum Scharfstellen, so wird die Belichtung punktuell dort gemessen, wo sich das ausgewählte Autofokusmessfeld befindet.
Das kann insbesondere in der Konzertfotografie dann sinnvoll sein, wenn das Gesicht des Künstlers richtig belichtet (und scharf fokussiert) abgebildet werden soll, dort aber eine andere Beleuchtung herrscht als im Bildhintergrund (wo ja häufig bunte Scheinwerfer für grelles Gegenlicht sorgen).
Allerdings ist auch der umgekehrte Fall in der Konzertfotografie denkbar und auch regelmäßig anzutreffen: Der Sänger wird in grelles Licht getaucht, während die Lichter im Hintergrund aus sind und die Bühne in tiefes Schwarz versinkt. Wenn die Musiker dann auch noch, was ebenfalls häufig geschieht, komplett schwarz gekleidet sind, ist diese Methode (Einzelautofokus kombiniert mit Spotmessung) die einzig sinnvolle Vorgehensweise.
Abbildung 9.7: Eine recht häufig anzutreffende Situation: Der Künstler ist weitgehend schwarz gekleidet, der Bühnenhintergrund ist unbeleuchtet und liegt damit ebenfalls in völliger Dunkelheit. Der Sänger wird zwar beleuchtet, doch aufgrund der schwarzen Kleidung würde eine herkömmliche Belichtungsmessmethode wie die Integralmessung versagen (die Belichtungsmesser der Kameras sind geeicht auf einen mittleren Grauwert). Die Folge wäre, dass wir ein überbelichtetes Foto bekommen würden, bei dem sowohl Kleidung als auch Hintergrund grau (und damit zu hell) wiedergegeben werden würden, während das Gesicht des Sängers viel zu stark überbelichtet wäre.
Eine solche Situation bewältigt man am besten mit der Kombination aus Einzelautofokus in Zusammenarbeit mit der Spotmessung. BAP mit Sänger Wolfgang Niedecken im Konzert am 24. August 2011. Nikon D3S mit 4,0/24-120-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 44mm. 1/200 Sekunde, Blende 4,0 , ISO 3.200.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
9.4 Kameraeinstellungen: Belichtungsautomatik
Eine der Belichtungsautomatiken der Kamera zu verwenden, hat nicht nur in der Konzertfotografie große Vorteile: Die Fotografin oder der Fotograf überlässt so etwas Banales wie die (hoffentlich richtige) Belichtung der Aufnahme der Kamera, um sich so besser auf das Motiv, die Bildgestaltung und das Abpassen des richtigen Moments zu konzentrieren. Doch diese Vorgehensweise, sofern sie unkritisch begangen wird, birgt auch Risiken.
Abbildung 9.8: SEEED mit Sänger Pierre Baigorry alias Peter Fox im Vordergrund im Konzert in der Wuhlheide in Berlin am 22. August 2013. Bei Motiven wie dem hier gezeigten ist es wichtig, dass der Fotograf sich nicht blind auf die von der Kameraautomatik vorgeschlagene Zeit-Blenden-ISO-Kombination verlässt, sondern mitdenkt und – sofern notwendig – eine Belichtungskorrektur vornimmt.
Hier hätte eine deutliche Unterbelichtung resultiert, weil große Teile des Bildes helle Lichter und hellen Nebel aufweisen, was die Belichtungsmessung verfälscht hätte. Eine Belichtungskorrektur von 1-2 Blendenstufen hingegen bringt das erwünschte (richtig belichtete) Ergebnis. Canon EOS-1D Mark IV mit EF 2,8/24-70mm bei verwendeter Brennweite 32mm. 1/200 Sekunde, Blende 6,3, ISO 1.250.
(Foto © 2013: DAVIDS/Sven Darmer – www.svendarmer.de)
Fazit
Die Belichtungs-Automatiken der Kameras sind geeicht auf einen mittleren Grauwert (mittleren Helligkeitswert). Wenn wir Motive fotografieren, die davon abweichen, resultiert eine Unterbelichtung (bei vielen hellen Bildstellen, zum Beispiel Scheinwerfer-Gegenlicht) oder Überbelichtung (bei vielen dunklen Bildstellen, zum Beispiel schwarze Kleidung und schwarzer Bühnenhintergrund). Wir müssen also korrigierend eingreifen, wenn wir bemerken, dass zu viele helle oder dunkle Stellen im Bild die korrekte Belichtung (korrekt bezogen auf die bildwichtigen Motivteile wie beispielsweise die Gesichter der Künstler) verhindern. Die Belichtungskorrektur (auch Plus-Minus-Korrektur genannt) ist nicht umsonst bei den meisten Kameramodellen an prominenter, leicht zu erreichender Stelle in direkter Nähe zum Auslöser platziert; sie ist ein sehr wichtiges, nahezu unerlässliches Feature professioneller Kameras.
9.4.1 ISO-Automatik?
Absolut nicht empfehlenswert ist die Verwendung der ISO-Automatik. Hierbei werden Zeit und Blende manuell eingestellt, während die Kamera den passenden ISO-Wert sucht, um die Aufnahme korrekt zu belichten. Die Gefahr besteht dabei darin, dass unter Umständen so hohe ISO-Werte von der Kamera verwendet werden, deren Ergebnisse nicht mehr professionell verwendet werden können, weil das Bildrauschen zu stark wird und die Fotos so für den Verkauf, Veröffentlichungen oder die Weitergabe an Dritte unbrauchbar werden. Schließlich sollte ein Fotograf niemals schlechte Qualität aus der Hand geben.
Wie hoch der ISO-Wert einer Kamera sein darf, ohne dass die technische Qualität leidet, ist von Kameramodell zu Kameramodell unterschiedlich. Außerdem dürfte es sicherlich auch eine Frage des Geschmacks des Fotografen sein, und auch der beabsichtigte Verwendungszweck spielt dabei eine Rolle. So kann beispielsweise die technische Qualität eines Fotos, das fürs Internet verwendet wird oder in einer Tageszeitung erscheint, geringer sein, als wenn das Foto für den Posterdruck oder für ein Hochglanzmagazin verwendet werden soll.
Abbildung 9.9: Bei den von mir verwendeten Kameras habe ich mir folgende (subjektiv begründete) Grenzen gemerkt: Die bei diesem Foto verwendete Nikon D3S hat die Grenze bei 2.500 ISO. Werte darüber (hier: 3.200 ISO) führen zu einem Bildrauschen, das meine hohen Ansprüche nicht mehr erfüllt, auch wenn die Qualität für viele Verwendungen (Tageszeitung, Internetveröffentlichungen) noch durchaus ausreichend ist. Die Nikon D4 kann ich bis maximal 3.200 ISO verwenden, ohne dass deutlich störendes Bildrauschen eine kommerzielle Nutzung der Ergebnisse unmöglich macht. Bei meiner Nikon D800 ist diese Grenze bereits bei 400 ISO erreicht. Dabei spielt es allerdings eine Rolle, ob die Ergebnisse korrekt belichtet oder unterbelichtet werden.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine korrekte Belichtung bei ISO 3.200 besser aussieht als eine Unterbelichtung von beispielsweise einer ganzen Blendenstufe (bei gleichem ISO-Wert). Das Bildrauschen ist im ersten Fall geringer als bei der Unterbelichtung; zumindest fällt sie bei der Unterbelichtung in den dunkleren Stellen stärker auf. Es kann also unter Umständen sinnvoller sein, mit einem höheren ISO-Wert (korrekt belichtet) zu fotografieren als mit einem geringeren ISO-Wert bei gleichzeitiger Unterbelichtung. Culcha Candela im Konzert am 20. August 2011. Nikon D3S mit 4,0/24-120-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 82mm. 1/500 Sekunde, Blende 5,0 ISO 3.200.
(Foto © 2011: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Fazit zum Thema
Die ISO-Automatik ist nicht geeignet, wenn man Wert auf hohe technische Qualität seiner Fotos legt. Es können kameraseitig ISO-Werte gewählt werden, die so hoch sind, dass das Bildrauschen im Foto zu störend wäre.
9.4.2 Programm-, Zeit- oder Blendenautomatik?
Eigentlich spielt es keine große Rolle, welcher Automatik der Vorzug gegeben wird. Es ist bestimmt auch Gewöhnungssache, womit wir Konzertfotografen fotografieren, oder eine Frage des Fotostils. Mit allen drei Automatiken kann man gute Ergebnisse erzielen.
Entscheidend ist, wie oben bereits ausgeführt, dass der Fotograf auch bei Verwendung einer der Kameraautomatiken weiterhin mitdenkt, also überprüft, ob die Belichtungsautomatik auch wirklich die korrekte Belichtung ermittelt, oder ob seitens des Fotografen korrigierend eingegriffen werden muss.
Die Programmautomatik ist für schnelle Schnappschüsse gut geeignet, denn hierbei hat der Fotograf sich lediglich (vorab) für einen ISO-Wert entschieden und diesen eingestellt, ohne sich während des Fotografierens Gedanken über eine bestimmte Verschlusszeit oder Blende machen zu müssen. Wer hingegen mehr Einfluss, zum Beispiel auf die Bildgestaltung, nehmen möchte, der wird einer anderen Belichtungsautomatik den Vorzug geben.
Wer gerne mit dem Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe arbeitet und Künstlerporträts gerne so fotografiert, dass nur das Gesicht scharf ist und der Hintergrund unscharf, wird die Zeitautomatik bevorzugen. Hierbei wird, bei vorher festgelegtem ISO-Wert, auch die Blende vorgegeben (eingestellt). Die Belichtungsautomatik wählt dann die passende Verschlusszeit aus, die zur korrekten Belichtung führt.
Abbildung 9.10: Blackmail mit Sänger Mathias Reetz am 12. Juli 2013 im Konzert. Gerne löse ich den Haupt-Akteur vom Hintergrund, indem ich die Schärfe auf ihn lege, was bei Verwendung einer (fast) offenen Blende (und daraus resultierend einer geringen Schärfentiefe) dazu führt, dass der Hintergrund in Unschärfe verschwimmt. Der Effekt ist allerdings am größten, wenn der Abstand von meiner Kamera zum Akteur möglichst gering ist und der Abstand vom Akteur zum Hintergrund hingegen möglichst groß. Entscheidend ist, dass ich den Umfang der Tiefenschärfe durch die Wahl der Blende festlege, weshalb die Zeitautomatik hier die beste Wahl ist. Nikon D800 mit 2,8/70-200-mm-Nikkor bei verwendeter Brennweite 155mm. 1/320 Sekunde, Blende 3,5, ISO 800. Zeitautomatik (Blendenpriorität).
(Foto © 2013: Jens Brüggemann – www.jensbrueggemann.de)
Wer im Konzert, zum Beispiel aufgrund seines Standpunktes von weiter weg, lange und damit schwere Telebrennweiten verwendet, der wird die Blendenautomatik bevorzugen. Bei voreingestelltem ISO-Wert (oftmals an der Grenze zu dem Wert, der gerade noch rauscharme Ergebnisse liefert) wird eine Verschlusszeit gewählt, die benötigt wird, um das schwere Objektiv verwacklungsfrei einzusetzen. Die Belichtungsautomatik der Kamera (hier also die Blendenautomatik) sucht dann die Blende aus, die innerhalb der Zeit-Blenden-ISO-Kombination (bei festgelegten Parametern von Zeit und ISO) die richtige Belichtung garantiert.
Abbildung 9.11: Wenn ein Konzertfotograf sich dafür entscheidet, mit einer bestimmten kurzen Verschlusszeit zu fotografieren, liegt das entweder daran, dass er ein schweres Objektiv verwendet, oder daran, dass die oder der Künstler(in) ständig auf der Bühne in Bewegung ist. Oder beides. Lena Meyer-Landrut am 3. August 2013 beim RS2-Radiokonzert in der Wuhlheide in Berlin.
Canon EOS-1D X mit EF 2,8/70-200mm bei verwendeter Brennweite 135mm. 1/320 Sekunde, Blende 5,0, ISO 320. Verschlusspriorität (Blendenautomatik).
(Foto © 2013: DAVIDS/Sven Darmer – www.svendarmer.de)
9.4.3 Oder manuelle Einstellung?
Die manuelle Einstellung von Verschlusszeit, Blende und ISO-Wert bedingt, dass die Lichtverhältnisse nicht schwanken, sondern konstant bleiben. Bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen, wie sie in der Konzertfotografie am ehesten im Bereich der klassischen, Jazz- und Schlager-Musik vorzufinden sind, können so häufig die besten Ergebnisse erzielt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass der Fotograf einmal am Anfang die korrekte Belichtung ermittelt (wobei er sich an den Ergebnissen der Kameraautomatik orientieren wird, vielleicht gemessen mithilfe der Spotmessung).
Abbildung 9.12: Der Fotograf achtet dann darauf, dass das Licht, welches den Künstler beleuchtet, konstant bleibt. Selbst wenn im Hintergrund farbige Leuchten abwechselnd und unterschiedlich stark leuchten (oder auch zeitweise fast ganz ausgehen), ist das nicht weiter schlimm, solange der Künstler von vorne konstantes Licht abbekommt. Altmeister Rod Stewart am 18. Juli 2007 im Konzert in der Hamburger Color Line Arena (das einzige Deutschlandkonzert während der „The Rodfather“-Tour).
(Foto © 2007: DAVIDS/Sven Darmer – www.svendarmer.de)
Hinweis: Konzertfotografen unterteilen die Beleuchtung in 1.: Licht, welches von vorne den oder die Künstler anstrahlt (relevantes Licht, um Künstlerporträts zu schießen) und in 2.: Licht, welches für die Hintergrund-Beleuchtung und -Effekte verwendet wird. Dann stört es auch nicht besonders, wenn Gegenlicht in die Kamera fällt, solange die Beleuchtung von vorne konstant bleibt.
Ersteres ist also für das Gelingen der Künstlerporträts verantwortlich (richtige Beleuchtung des Gesichts), während das zweite für tolle, stimmungsvolle Effekte sorgt (das, was die Konzertfotografie vor allem ausmacht).